Schlechtes Gewissen
„Eine Klangschale für 150 Franken kaufen, aber nicht 30 Franken bezahlen, um den Kumpel zu unterstützen.“
Dieser Satz wurde mir einmal von einem grandios-narzisstischen Freund um die Ohren gehauen.
Der Satz mag erst einmal harmlos klingen. Doch er bohrte für einige Sekunden ein brennendes Loch in meine Bauchgegend und ich bekam plötzlich ein furchtbar schlechtes Gewissen.
Aber damit du die volle emotionale Wucht dieser Aussage nachempfinden kannst, bedarf es etwas Kontext…
Die Klangschale
… in dieser Phase meines Lebens achtete ich übermäßig stark auf mein eigenes Wohlergehen. Meine innere Ruhe hatte oberste Priorität und ich wollte aufgrund meiner Hochsensibilität möglichst keine Reizüberflutungen bekommen.
Bücher, Spaziergänge, Meditation und eine neue Klangschale sorgten unter anderem für einen möglichst ausgeglichenen inneren Zustand.
Die Klangschale war nicht gerade billig, sondern kostete ca. 150 Franken.
Gleich nachdem ich sie gekauft hatte, machte ich einen Abstecher zu einem meiner besten Freunde. Es handelte sich um den grandios-narzisstischen Johannes, der in der Stadt wohnte, in der ich gerade unterwegs war.
Als er meine Tasche erhaschte, fragte er mich, ob ich etwas eingekauft hätte. Er war äußerst aufmerksam und sprach solche Dinge in der Regel direkt an.
Ich zeigte ihm meine neue Klangschale und führte sie ihm auf seinen Wunsch hin kurz vor.
Johannes’ unterschwelliger Angriff
Ein anderer Freund von mir gab am Abend desselben Tages ein Rap-Konzert an einem kleinen Open-Air Festival. Ich hatte ihm bereits gesagt, dass ich nicht mehr so gerne Rap-Musik hörte. Außerdem würden mich die starken Reize an Konzerten immerzu überfordern und erschöpfen.
Um ihn zu „unterstützen“, würde ich es in Erwägung ziehen, dennoch zu kommen, antwortete ich ihm auf die Frage, ob ich auch kommen wollte. Allerdings nur dann, wenn ich, wie von ihm vorgeschlagen, kostenlos über die Gästeliste eintreten könnte.
Als allgemein sehr empathischer und rücksichtsvoller Mensch verstand er das vollkommen und überließ mir die Entscheidung, ob ich kommen würde oder nicht.
Ich erzählte Johannes von meinen eventuellen Plänen am Abend. Obwohl er meinen Kumpel gar nicht mochte und nicht sonderlich begeistert von den Plänen war, nahm er sie vorerst einfach einmal zur Kenntnis.
Plötzlich erhielt ich von meinem Kumpel die Text-Nachricht, dass die Gästeliste kurzfristig gestrichen worden sei. Er würde sich natürlich über mein Kommen freuen, es aber vollkommen verstehen, wenn ich nicht dabei wäre.
So informierte ich Johannes über den aktuellen Stand der Dinge und fügte hinzu, dass ich dann wohl eher nicht gehen würde.
Ich weiß nicht, was genau es war, aber irgendetwas schien ihm zu missfallen.
Meiner Vermutung nach war es sein Groll darüber, dass ich mich mit „so einem Menschen“ abgab. Er war herzensgut, hatte aber eine Eigenart, die Johannes als „abstoßende Macke“ interpretierte.
Johannes war ein Mensch, der sein Umfeld sehr sorgfältig auswählte bzw. aussortierte – und zwar mit radikalen Methoden. Menschen mussten „weit“ und „scharfsinnig“ sein, um es in seinen Freundeskreis zu schaffen.
Jedenfalls hatte er einst zu mir gemeint:
„Mit dem stimmt auch irgendetwas nicht. Der ist seltsam.“
Offenbar war auch er ihm nicht „weit“ oder „scharfsinnig“ genug.
Aber wer weiß…
… jedenfalls schossen urplötzlich die folgenden Worte aus ihm heraus, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich nun definitiv nicht gehen würde:
„Eine Klangschale für 150 Franken kaufen, aber nicht 30 Franken bezahlen, um den Kumpel zu unterstützen.“
Mit dieser Aussage traf Johannes einen wunden Punkt bei mir…
… mein Gewissen.
Auf einen Schlag fühlte ich mich schuldig und schämte mich für mein „egoistisches“ Verhalten.
Als Johannes das bemerkte und ich ihn mit einem sichtlich schlechten Gewissen unterwürfig fragte, was er denn an meiner Stelle tun würde, änderte sich seine vorwurfsvolle Haltung wieder und er meinte:
„Naja das musst du wissen. Willst du das denn überhaupt tun? Weshalb willst du denn dorthin gehen?“
Der weitere Verlauf der Unterhaltung ist nicht wichtig. Jedenfalls beschloss ich, trotzdem nicht hinzugehen. Denn ich wusste, dass mir der Konzertbesuch erstens nicht gut getan hätte und dass mein Kumpel zweitens nicht gewollt hätte, dass es mir „seinetwegen“ nicht gut ging.
2 Arten des Angriffs
Was ist passiert?
Nun, es gibt 2 Arten, auf die du angegriffen werden und ein schlechtes Gewissen bekommen kannst…
1. Der unterschwellige Angriff
Johannes wählte im obigen Beispiel die erste Variante, die ich den unterschwelligen Angriff nenne.
Ich wurde indirekt auf mein „unmoralisches Verhalten“ hingewiesen. Aber ich konnte nicht deutlich ausmachen, ob Johannes mich damit angreifen wollte oder ob er einfach auf das moralische Problem hinweisen wollte.
Weil ich ihn sehr gut kannte und einige non-verbale Zeichen wahrnahm, kann ich mir vorstellen, dass er mir vielleicht emotional eins auswischen wollte. Und zwar dafür, dass ich mich mit einem Menschen abgab, der „unter seiner Würde“ war.
Seine Freunde waren ein Teil seines Selbst. Mit ihrer „geistigen Reife“ definierte er sich zu einem großen Stück selber. Und für diese „geistige Reife“ legte er eigene Kriterien fest, denen mein Kumpel nicht entsprach.
Nun war er genervt von mir, weil ich aus seiner Sicht ein besseres – bzw. sein – Urteilsvermögen über Freunde haben sollte.
Diese Genervtheit ließ er mich spüren, ohne sie klar kenntlich zu machen. So konnte er mich angreifen, ohne in moralische Erklärungsnot zu geraten. Denn tatsächlich war er ein Moralapostel und er hatte für alles eine klare, moralische Position.
Wahre Meister darin, anderen durch unterschwellige Angriffe ein schlechtes Gewissen zu machen, sind aus meiner Sicht allerdings Menschen mit Borderline.
Niemand versteht es besser, in anderen intensive Schuld- und Verpflichtungsgefühle auszulösen.
Ein gutes Beispiel ist die Tochter, die nach einem selbst provozierten Streit in einem vorwurfsvollen Ton empört schluchzt:
„Ich bin jetzt ganz zittrig wegen dir und habe keinen Appetit mehr. Ich höre jetzt mit allem auf. Hat sowieso keinen Sinn mehr.“
2. Der direkte Angriff
Doch es gibt auch Menschen, die dir weitaus direkter zu verstehen geben, dass du dich „was schämen solltest“. Bei dieser direkten Variante heißt es dann zum Beispiel:
„Meine Güte, bist du egoistisch. Du solltest dich was schämen.“
„Wie kannst du mir nur so etwas antun?“
„Das ist eine sehr schlechte Eigenschaft von dir.“
„Ich tue so viel für dich und du hilfst mir nie.“
„Ein guter Mensch würde mir helfen.“
Wie du siehst, ist diese zweite, direkte Variante, jemandem ein schlechtes Gewissen zu machen, viel „wuchtiger“.
Außerdem weißt du sofort, dass dein Gegenüber persönlich ein Problem mit deinem Verhalten hat.
Auch Johannes zog nicht selten diese Variante vor. Als ihm das ständige, öffentliche Lob eines Facebook-„Freunds“ für einen gemeinsamen Freund von ihnen auf den Senkel ging, kommentierte er:
„Gratuliere, du hast einen Preis gewonnen. Und zwar für den grössten Arschkriecher und Schleimscheißer im ganzen Internet.“
Er gab sich zwar sehr selbstsicher. Aber im Grunde genommen war er ein sehr unsicherer Mensch. Er musste ständig Leistungen und Erfolge mit Aktivitäten erzielen, die er für wertvoll hielt.
Und das tat er auch, denn er war nicht nur unglaublich talentiert und kompetent, sondern auch sehr erfolgreich.
Doch in Phasen, in denen es für ihn gerade nicht so gut lief, fiel er in ein emotionales Loch und versuchte verzweifelt, Beifall für seine Kunstwerke zu bekommen. So postete er einst reihenweise von ihm produzierte Songs auf Facebook mit aufgeblasenen Kommentaren wie:
„Dieses Prachtstück ist auch von mir“
Die Manipulation zielt zwar in beiden Fällen auf das Gewissen, ist aber im Falle eines unterschwelligen Angriffs um einiges subtiler als bei einem direkten Angriff.
Ein direkter Angriff mag deswegen vielleicht mehr Wucht haben. Doch ein unterschwelliger Angriff kann unter Umständen viel effektiver und intensiver sein. Schließlich ist es schwierig zu wissen, wie man sich gegen einen Angriff verteidigen soll, der gar nicht als solcher kommuniziert wird.
Die Manipulationstechnik der Erzeugung eines „schlechten Gewissens“ ist sehr komplex. Denn sie ist meist Teil emotionaler Erpressung, die hauptsächlich auf 4 Arten erfolgt.
Wieso ein schlechtes Gewissen machen?
Es gibt vor allem 2 Hauptgründe, weshalb dir jemand ein schlechtes Gewissen macht…
1. Versorgung
Die Person will etwas von dir, das du ihr nicht so ohne weiteres zu geben bereit bist. Deshalb strengt sie sich mehr an und versucht, dir ein schlechtes Gewissen zu machen.
Auf diese Weise bringt sie dich dazu, etwas für sie zu tun, das du in einem emotional ausgeglichenen Zustand nicht tun würdest.
Deshalb versucht sie, dich emotional zu destabilisieren und dir einzureden, dass der Weg zurück zu einem guten Gewissen nur über den „Gefallen“ führt, den sie von dir fordert.
Diesen Prozess nennt man emotionale Erpressung und ist eine eigene Manipulationstechnik.
2. Bestrafung
Wie du zweifellos erkennen kannst, wollte Johannes mich dafür bestrafen, dass ich ihn mit meiner „falschen Freundeswahl“ gedemütigt und beschämt hatte.
Meine anschließende „Unterwerfung“ muss er wohl als Entschuldigung interpretiert haben.
Dass ich nicht zum Konzert gehen wollte, kam ihm wahrscheinlich insofern entgegen, dass ich Zeit mit ihm und nicht mit meinem anderen Kumpel verbrachte. Deshalb war die Angelegenheit vermutlich auch so schnell für ihn erledigt.
Bei der Bestrafung als Motivation geht es darum, dass du dafür leidest, dass du die Person auf irgendeine Weise gekränkt oder genervt hast.
Im Falle einer Borderline-Persönlichkeitsstörung kann es aber auch sein, dass du dich ebenso schlecht fühlen sollst, wie dein Gegenüber. Hier ist allerdings ein anderer Mechanismus aktiv.
In Fall von Borderline kann es auch sein, dass du durch dein Verpflichtungsgefühl als Bezugsperson möglichst nahe gehalten wirst.
Symptome
Die Symptome eines schlechten Gewissens sind zahlreich.
Wird das schlechte Gewissen über einen längeren Zeitraum immer wieder aktiviert, kann es chronisch werden. Das bedeutet, dass der Selbstwert abnimmt und zunehmend nur noch für andere lebt, um das eigene schlechte Gewissen kurzfristig abzumildern.
Auch Schuldgefühle und Verpflichtungsgefühle können heranwachsen.
Die ständige innere Anspannung kann außerdem zum Dauerstress führen, wodurch auch körperliche Symptome auftreten können.
Fazit
Du solltest auf keinen Fall versuchen, die Situation zu verharmlosen oder gar zu beschönigen.
Die Person mag verdrängen und sich dessen nicht bewusst sein, was sie dir antut.
Doch die Tatsache, dass ein Mensch fähig ist, etwas derart moralisch Verwerfliches zu tun, zeigt nicht nur, wie toxisch, sondern auch, wie gefährlich er unter Umständen sein kann.
Egal, aus welchen Gründen er/sie dir ein schlechtes Gewissen macht: niemand hat das Recht, dich schlecht zu behandeln.
Dieses Verhalten langfristig aus deinem Leben zu verbannen, gehört zu einer gesunden Psychohygiene dazu.
Wenn der Mensch nicht bereit ist, sich zu ändern, dann helfen nur Kontaktabbruch/Kontaktreduktion und emotionale Abgrenzung.
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