Gaslighting
Narzisstische Menschen sind wahre Meister darin, sich selbst ins beste Licht zu rücken.
Während sie dich hinter verschlossenen Türen abwerten, beschuldigen und manipulieren, zeigen sie sich nach außen meist von ihrer besten Seite.
Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Freunden im Restaurant helfen sie der alten Frau aus dem Auto, bezahlen die Rechnung, sind charmant und zuvorkommend zu allen und wirken geradezu perfekt.
Du bist erstaunt, wie nett diese Person ist: „Wie kann das sein? Sie ist doch sonst immer so gemein zu mir…“
… du bekommst Gewissensbisse, weil du denkst, das du ihr Unrecht getan hast. Offenbar hast du dich geirrt und die Person ist ein richtig lieber Mensch.
Doch kaum sitzt ihr alleine im Auto, ist sie auch schon wieder grausam und gemein zu dir. Du erlebst wieder einmal mehr, wie sie eigentlich ist.
Du würdest den anderen ja gerne zeigen, wie die Person wirklich ist. Doch da gibt es nur ein Problem:
„Niemand würde dir glauben…“
Die Scheinwelt
Willkommen in der Scheinwelt des Narzissten!
Eine narzisstische Person erschafft sich ein „künstliches Selbst“, eine Art „Avatar“, und schlüpft in der Öffentlichkeit in diese Rolle.
Mit dieser Rolle spielt sie allen etwas vor. Doch du weißt es besser…
…oder?
Wahrscheinlich zweifelst auch du irgendwie.
Die Person kann in der Öffentlichkeit so liebenswürdig sein, so schöne Dinge sagen, so zuvorkommend sein.
So „böse“ kann sie doch nicht sein. Nicht wahr?
Deshalb denkst du dir trotz ihrer respektlosen Art dir gegenüber: „Hmm… vielleicht gehe ich mit ihr viel zu hart ins Gericht.“
Die anderen würden es jedenfalls so sehen. Auch die Person selbst würde das beteuern. Also muss es doch stimmen, oder?
Leider nicht…
Denn dein Gegenüber zieht sich nicht nur eine Maske über und spielt den anderen etwas vor, sondern es schafft es auch, alle von dieser gespielten Rolle zu überzeugen.
Doch wichtig ist: Diese Rolle entspricht keinesfalls der Wahrheit!
Einerseits „weißt“ du, was du siehst. Die Wahrheit ist nicht die, die der Narzisst dir und allen anderen vorspielt.
Andererseits zweifelst du aber an deiner eigenen Wahrnehmung und bekommst ein schlechtes Gewissen. Denn nur ein Narzisst ist vom Wahrheitsgehalt seiner Wahrnehmung absolut überzeugt, nicht wahr?
Doch genau das ist der springende Punkt. Diese Tatsache nutzt der Narzisst aus. Er weiß um deine Zweifel und dein schlechtes Gewissen. Deshalb entwickelt er eine Strategie, um diese Emotionen zu verstärken und deine Fähigkeit, klar zu denken, auszuschalten. Er verzerrt deine Wahrnehmung.
Du wirst geblendet. Deine Sicht wird vernebelt. Durch eine emotionale Rauchbombe…
…Gaslighting!
Was ist Gaslighting?
„Wie bitte? Garantiert nicht! Du hast sie ja nicht mehr alle…“
Welche Emotionen verspürst du, wenn du diese Worte liest?
Diese Aussage ist ein typisches Beispiel von sogenanntem Gaslighting.
Der Begriff „Gaslighting“ geht auf ein Theaterstück (1938) und einen Film (1944) zurück.
Die Geschichte handelt von einem Mann, der in einem Haus heimlich Dinge verschwinden lässt und das Licht der Gaslampen herunterdreht.
Der Frau, die ebenfalls im Haus wohnt, redet er ein, dass sie halluziniere, wann immer sie ihm davon berichtet. Er belügt und täuscht sie bewusst, um sie allmählich in den Wahnsinn zu treiben…
„Gaslight(ing)“ (Deutsch: „Gaslicht“) ist eine Manipulationstechnik, bei der du genau nach diesem Schema regelrecht „wahnsinnig“ gemacht wirst.
Wie wirst du „gegaslightet“?
Die 2-Schritte-Strategie
Im Grunde besteht Gaslighting aus 2 Schritten:
Schritt 1: Deine Wahrnehmung wird von deinem Gegenüber bestritten.
Beim Beispiel weiter oben wäre das: „Wie bitte? Garantiert nicht!“
Schritt 2: Dir wird eingeredet, dass du verrückt seist, weil du so etwas wahrnimmst.
Beim Beispiel weiter oben wäre das: „Du hast sie ja nicht mehr alle…“
Wichtig bei Schritt 1 ist, dass es sich um eine Lüge handelt, denn sonst ist es kein Gaslighting. Du gaslightest die narzisstische Person nicht, wenn du ihr eine beobachtbare Wahrnehmungsverzerrung unterstellst.
Ich würde dir aber dennoch davon abraten, da solche direkte Konfrontationen die Situation nur noch schlimmer machen.
Damit diese Aussagen klarer werden, setzen wir sie nun durch zwei Geschichten in einen Kontext…
Der untreue Partner
… stell dir vor, du bist deinem Partner oder deiner Partnerin nach einem lange vorangehenden Betrugsverdacht gefolgt.
Vielleicht gab es konkrete Anzeichen: seine Geschichten waren unglaubwürdig oder „gingen nicht auf“.
Vielleicht hattest du aber auch nur ein „sehr komisches Gefühl“ und trautest der Sache nicht ganz.
Als du ihm gefolgt bist, hast du gesehen, wie er eine andere Person geküsst hat.
Du konfrontierst dein Gegenüber mit dieser Lüge.
Ein „einfacher Lügner“ würde sich ertappt fühlen und beispielsweise antworten: „Ja, ich gebe es zu…“.
Vielleicht würde er es auch einfach abstreiten und noch eine Lüge obendrauf legen, um die ursprüngliche Lüge aufrechtzuerhalten.
Doch von einem „Gaslighter“ erhältst du eine ganz andere Antwort. Nämlich:
„Du träumst wohl. Vielleicht hast du eine andere Person gesehen, aber definitiv nicht mich.
Geh mal besser zum Arzt und lass deine Augen untersuchen.
Und wie krank und respektlos muss man eigentlich sein, anderen nachzuspionieren und ihre Privatsphäre zu missachten!?
Geht’s dir eigentlich noch gut, anderen Menschen nachzustellen!? Unglaublich, dass du mir so wenig vertraust!“
… Das ist Gaslighting!
Schritt 1 steckt in der Aussage „Du träumst wohl…“
Schritt 2 steckt in der Aussage „Geh mal besser zum Arzt…“.
In diesem Beispiel setzt eine aschließende „Schuldumkehr“ dem Ganzen noch die Krone auf. Plötzlich bist du der Böse, weil du ihm nachstellst und ihm nicht vertraust.
Dass du gute Gründe dafür hattest und einem gesunden Misstrauen gefolgt bist, das offenbar berechtigt war, blendet dein Gegenüber einfach aus.
Der gaslightende Arzt
Hier noch eine Geschichte aus dem echten Leben. Erschreckenderweise handelt es sich beim Gaslighter in dieser Geschichte um einen Arzt…
Manuela litt seit Monaten an chronischen Bauchkrämpfen, die von Tag zu Tag stärker wurden.
Egal, auf welche Internetseite sie beim Googgeln ihrer Symptome landete, sie stieß immer wieder auf eine Blinddarmentzündung.
Deshalb suchte sie ihre Hausärztin auf, die sie in die Notfallabteilung im Krankhenhaus schickte.
Dort wartete der Gastroenterologe mit seinem Ultraschallgerät auf sie und untersuchte sie auf allfällige Entzündungen. Doch die Untersuchung ergab nichts.
Der Arzt konnte sich nicht erklären, woher die Symptome kamen.
Bei kurzer durchsicht ihrer Mappe las er, dass sie in der Vergangenheit einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik wegen ihres Untergewichts hatte.
Er fragte sie: „Wie stark sind Ihre Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10?“
Sie antwortete: „So etwa eine 7 oder eine 8.“
Er nickte und fragte: „Und was für Schmerzmittel nehmen Sie?“
Darauf antwortete sie: „Ich nehme keine Schmerzmittel und möchte auch keine nehmen, wenn es nicht unumgänglich ist.“
Damit schien für den Arzt der Fall klar zu sein und sein Gaslighting begann:
„Na, da sieht man schon, dass Ihre Schmerzen nicht so schlimm sein können. Denn wenn Ihre Schmerzen wirklich so schlimm wären, würden Sie schon bei einer Stärke von 2 Schmerzmittel nehmen.
Es handelt sich sich bei Ihnen offensichtlich um eine Somatisierungsstörung. Ich verschreibe Ihnen Schmerzmittel und empfehle Ihnen eine Psychotherapie und Psychopharmaka.“
Mit diesen Worten entließ er sie aus der Notfallstation und schickte sie wieder nach Hause.
So litt sie weiter und die Symptome wurden immer stärker, zahlreicher und häufiger. Als sie es nach weiteren 5 Monaten schließlich nicht mehr aushielt, suchte sie erneut ihre Hausärztin auf.
Diese schickte sie erneut in die Notfallabteilung, wo ein anderer Gastroenterologe sie untersuchte. Auch bei ihm zeigte das Gerät nur ganz leichte Entzündungen an. Aber immerhin etwas…
Der Gastroenterologe wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen und rational an die Sache herangehen.
Manuela wollte unbedingt noch die Meinung eines Chirurgen einholen, wie es von ihrer Hausärztin empfohlen wurde.
Ein sehr einfühlsamer Chirurg, der bei ihr schon 2 Jahre zuvor eine Hernie im Bauchraum operiert hatte, bat darum, sie auch in dieser Situation wieder begleiten zu dürfen.
Manuela stimmte ohne zu zögern zu, weil er sie stets sehr gut und einfühlsam begleitet hatte.
So tastete der Chirurg vorsichtig ihren Bauch ab, fragte nach ihren Symptomen und nahm sie ernst. Relativ schnell schlug er vor, sie noch am selben Tag am Blinddarm zu operieren.
Ihr fiel ein Stein vom Herzen, denn all ihre Symptome deuteten ja schon lange darauf hin. Selbst ihr als Laie war schon längst klar gewesen, dass es sich wahrscheinlich um eine Blinddarmentzündung handelte.
Die Operation offenbarte so einiges: Der Chirurg entfernte den Wurmfortsatz und stellte bei ihr eine chronische Blinddarmentzündung fest.
Tatsächlich war ihr Wurmfortsatz durch jahrelange Entzündungen sogar völlig vernarbt und mit einem Teil des Darms verwachsen. Sie musste schon jahrelang unter unsäglichen Schmerzen gelitten haben.
Nach der Operation waren die Symptome Weg.
Kommentare zum Gaslighting des Arztes
Auch das Gaslighting des Gastroenterologen, der sie nicht ernst nahm, hinterließ bei Manuela eine Narbe.
Er legte auf einer Skala von 1 bis 10 eine 2 als Obergrenze für ohne Medikamente aushaltbare Schmerzen fest. Das ist natürlich völlig absurd und entbehrt jeder Logik.
Doch auf dieser Grundlage sagte er ihr, dass sie übertrieb, die von ihr wahrgenommenen Schmerzen gar nicht so schlimm sein könnten und ihr Problem ein psychisches sein musste.
Es handelte sich dabei nicht nur eine dramatische und gefährliche Fehleinschätzung, sondern er unterstellte ihr außerdem nach einem 5-minütigen Gespräch eine Wahrnehmungsstörung.
Auch in dieser Situation werden die 2 Schritte des Gaslightings erfüllt.
Schritt 1 steckt in der Aussage „Na, da sieht man schon, dass Ihre Schmerzen nicht so schlimm sein können.“
Schritt 2 steckt in der Aussage „Es handelt sich bein Ihnen offensichtlich um eine Somatisierungsstörung.“.
Übrigens stellte er ihr mit der Somatisierungsstörung, die er sogar in der Akte vermerkte, eine psychologische Diagnose, die illegal war. Als Mediziner ohne psychologischen Hintergrund war er gar nicht dazu befugt, eine solche Diagnose zu stellen.
Er stellte sie außerdem nach einem 5-minütigen Gespräch, während psychotherapeutisch geschultes Fachpersonal bei ihrem 4-monatigen Klinikaufenthalt nichts derartiges diagnostizierte.
Nachdem Manuela ihm auf Anraten des Chirurgs damit drohte, rechtliche Schritte einzuleiten, sofern er diese Diagnose nicht aus der Akte strich, entfernte er sie wieder.
Auf eine Entschuldigung, geschweige denn eine Erklärung, wartet sie bis heute noch…
Wie du siehst, können auch Ärzt*innen Gaslighter sein und – vielleicht zu deinem Erstaunen: auch Psychotherapeut*innen.
Wieso gaslightet man?
Womöglich fragst du dich jetzt, wozu Menschen überhaupt „gaslighten“ und was sie davon haben…
Der Arzt schien mit der Situation überfordert gewesen zu sein, nichts zu finden und kein eindeutiges Ergebnis erhalten zu haben.
Deshalb fand er den von ihm ersehnten Abschluss in einer psychosomatischen Störung.
Doch sein Verhalten entsprach nicht dem eines Narzissten, auch wenn er Manuela gaslightete.
Gaslighting wird zwar sehr häufig von „Narzissten“ angewendet – allerdings nicht ausschließlich.
Dennoch handelt es sich in jedem Fall um emotionale Misshandlung.
Zunächst wird in einem ersten Schritt deine Wahrnehmung von deinem Gegenüber so lange bestritten, bis du selber an ihr zu zweifeln beginnst.
In einem zweiten Schritt wirst du dann glauben gemacht, du seist verrückt, weil du etwas wahrnimmst, „das gar nicht sein kann“.
Wie niederschmetternd, verwirrend und gefährlich Gaslighting sein kann, davon kann Manuela ein Lied singen.
Dein Denken und deine Realität werden so manipuliert, dass du deinem eigenen Urteilsvermögen nicht mehr traust.
Von narzisstischen Menschen kannst du auf diese Weise manipuliert und kontrolliert werden. Sie verwenden Gaslighting als Manipulationstechnik.
Weshalb lügen Menschen?
Vielleicht hilft dir zum besseren Verständnis auch der Vergleich mit dem „Lügen“.
Wir alle haben schon einmal die eine oder andere Lüge erzählt. In der Regel lügen wir, um den negativen Konsequenzen zu entgehen, die uns drohten, wenn wir die Wahrheit erzählten.
Lügen können uns einen „einfachen“ Ausweg bieten, wenn wir einen Fehler gemacht haben. Wir vermeiden dadurch die Konfrontation und entgehen den Konsequenzen für den von uns gemachten Fehler.
Wir müssen für nichts geradestehen und kommen ungeschoren davon…
… ähnlich verhält es sich mit Gaslighting.
„Aber ist Gaslighting denn dasselbe wie Lügen?“, magst du dich zu Recht fragen.
Manchmal wird Gaslighting tatsächlich irrtümlicherweise mit Lügen gleichgesetzt, aber wie du an den Geschichten siehst, ist Gaslighting mehr als Lügen.
Konsequenzen
Beim Gaslighting wird deine Wahrnehmung von deinem Gegenüber immer wieder abgestritten und für absurd erklärt.
Immer wieder hörst du, wie „krank“, „unwahr“ und „unangebracht“ deine Gedanken und Gefühle eigentlich sind.
Dadurch beginnst du allmählich, an deiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Du fragst dich, ob dein Gegenüber vielleicht nicht doch recht hat.
Irgendwann bist du so verwirrt und unsicher, dass du ihm zu glauben beginnst. Du fängst an, seinem Urteilsvermögen mehr zu vertrauen als deinem eigenen. Denn es hat dir immer wieder eingetrichtert, dass es „exakter wahrnimmt“ und „vernünftiger denkt“ als du.
Schließlich übernimmst du mit der Zeit die folgende Vorstellung deines Gegenübers:
Im Zweifelsfall hat er/sie Recht und du bist schuld.
Deshalb fühlst du dich verpflichtet, dich seinen/ihren vermeintlich vernünftigeren Einschätzungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Entscheidungen zu unterwerfen.
An diesem Punkt hat dich dein Gegenüber bereits eingewickelt und unter seiner Kontrolle.
Symptome
Symptome von Gaslighting sind:
Wahrnehmungsverzerrungen und Verwirrung
Minderwertigkeitskomplex und Schuldgefühle
Vollkommene Untwerfung
Identitätsverlust
Mangelndes Selbstvertrauen und Verzweiflung
Fazit
Du solltest auf keinen Fall versuchen, die Situation zu verharmlosen oder gar zu beschönigen.
Die Person mag verdrängen und sich dessen nicht bewusst sein, was sie dir antut.
Doch die Tatsache, dass ein Mensch fähig ist, regelmäßig etwas derart moralisch Verwerfliches zu tun, zeigt nicht nur, wie toxisch, sondern auch, wie gefährlich er unter Umständen sein kann.
Egal, aus welchen Gründen er/sie Gaslighting betreibt: niemand hat das Recht, dich schlecht zu behandeln.
Dieses Verhalten langfristig aus deinem Leben zu verbannen, gehört zu einer gesunden Psychohygiene dazu.
Wenn der Mensch nicht bereit ist, sich zu ändern, dann helfen nur Kontaktabbruch/Kontaktreduktion und emotionale Abgrenzung.
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Hier sind noch zwei Videovorschläge von der amerikanischen Psychologin Dr. Durvasula Ramani über Gaslighting.