Toxische Wettkämpfe
In diesem Artikel lernst du 2 Formen des toxischen Wettkampfs kennen, in den dich narzisstische Menschen hineindrängen können.
Wettkämpfe bringen Menschen an ihre Grenzen und können ihnen dadurch helfen, über sich selbst hinauszuwachsen. Solange der Wettkampf „sportlich“ verläuft, wie man so schön sagt, kann er allen Beteiligten viel Freude bereiten und man gibt sich danach respektvoll die Hand.
Doch leider existieren auch „toxische Wettkämpfe“, die alles andere als sportlich ablaufen. Angehörige narzisstischer Menschen werden immer wieder in sie hineingezogen, ohne jemals das Bedürfnis danach zu verspüren. Ihnen geht es meist nicht darum, sich zu messen, sondern sie wollen „einfach nur ihre Ruhe“ haben.
Aber genau diese Ruhe wird von ihrem narzisstischen Gegenüber immer wieder gestört. Denn dieses versucht, aus jeder Situation einen Wettkampf zu machen.
Dabei handelt es sich nicht einfach nur um irgendeinen Wettkampf. Es geht um eine „toxische“ Form des Wettkampfs, der bei den unfreiwilligen Mitstreitern oftmals großen Schaden anrichtet.
2 Formen des toxischen Wettkampfs
Werden wir jetzt konkreter und ich erzähle dir 2 Geschichten aus dem echten Leben, die ebenso interessant wie verstörend sind. Es handelt sich jeweils um eine von 2 Formen des toxischen Wettkampfs, der die Hauptperson zum Opfer gefallen ist.
1. Der Leistungswettkampf
Die erste Form des toxischen Wettkampfs ist der „Leistungswettkampf“. Er ist die bevorzugte Spielwiese grandioser Narzissten. Denn diese Art des Wettkampfes bietet ihnen eine hervorragende Möglichkeit, den Eindruck zu erwecken, sie seien besser, schneller, stärker und wertvoller als ihre widerwilligen Konkurrenten.
Da grandiose Narzissten sich ihres natürlichen Selbstwerts nicht bewusst sind – also ein sehr geringes Selbstwertgefühl haben – sind sie absolut abhängig von regelmäßigen Bestätigungen durch Leistungen. Nur so können sie sich immer wieder vergewissern, dass sie „etwas wert“ sind.
Ihre permanente Leistungssucht ist sehr kräftezehrend für sie selbst. Regelmäßige Erfolge blasen sie mit einem unglaublich großen, künstlichen Ego auf, das nicht weit von der Perfektion entfernt ist.
Viele von ihnen haben deshalb einen „Gotteskomplex“, der sie glauben macht, über „den Menschen“ zu stehen. Sie kreieren sich unterbewusst ein „Selbst“, das makellos, unantastbar und fast schon übermenschlich ist.
Durch dieses Selbstbild versuchen sie, dem Gefühl der Wertlosigkeit zu entgehen und sich in ihren Augen „liebenswert“ zu machen.
Natürlich kann kein Mensch diesem Idealbild gerecht werden, das grandiose Narzissten von sich selbst haben. Deshalb vertuschen und verdrängen sie ihre eigenen Mängel mit angeberischen Worten, Ausreden und einer aufgeblasenen Art.
Zwar wirken sie zunächst oft charismatisch, charmant und anziehend auf ihre Mitmenschen. Doch viele nehmen sie genau so wahr, wie sie eigentlich sind: aufgeblasen und protzig gegen außen, zutiefst unsicher und fragil im Innern.
Tatsächlich haben Narzissten einen äußerst instabilen Selbstwert und sind sehr leicht gekränkt.
Auf sie trifft das Sprichwort „harte Schale, weicher Kern“ perfekt zu. Denn niemand gibt sich gegen außen dermaßen unantastbar und ist gleichzeitig im Innern so zerbrechlich wie ein grandioser Narzisst.
Doch zurück zum Wettkampf: Dieser ist toxisch, weil der Narzisst meist unfair und nach seinen eigenen Regeln spielt. Um das zu veranschaulichen, erzähle ich dir jetzt die Geschichte einer Person, die mir sehr nahe steht und von Kindesbeinen an regelmäßig in toxische Wettkämpfe hineingedrängt wurde…
Der brüderliche Konkurrenzkampf
Nando hat einen sehr patriarchischen Vater. Dieser hat seinen vier Kindern schon sehr früh klargemacht, dass Leistungen und Erfolge für ihn das Allerwichtigste im Leben sind. Er selbst ist erfolgreicher Unternehmer, Gewinner diverser Sportpreise und Gründer mehrerer lokaler Sportvereine.
Dass seine Liebe nicht kostenlos ist, sondern die Kinder sie sich durch regelmäßige Erfolge und Leistungen zuerst verdienen – ja regelrecht miteinander darum kämpfen – müssen, hat er ihnen ebenfalls bereits im frühen Kindesalter zu verstehen gegeben.
Nando hat sich dennoch nie darum gekümmert, Erfolge für seinen Vater zu erbringen. Wenn er erfolgreich sein wollte, dann deshalb, weil er es wollte und nicht, weil er so die „Liebe“ seines Vaters erhielt.
Entsprechend widerspricht er seinem Vater oft, wenn er eine andere Meinung hat und spielt dieses perverse Spiel um die väterliche „Liebe“ nicht mit.
Andis aufgeblasener Luftballon
Anders verhält es sich jedoch bei Nandos älterem Bruder Walter. Dieser spürt bereits sehr früh, wie wohltuend die Anerkennung und die Bestätigung des Vaters sein können. Er bemerkt, dass er durch das Erbringen von Leistungen Aufmerksamkeit von seinem Vater erhält.
Davon will er mehr, um seine nötige Portion väterliche „Liebe“ zu bekommen.
Was beide nicht wissen: Walter und Nando haben einen Vater, der gar nicht in der Lage ist, sie zu lieben. Das, was der Vater als „Liebe“ bezeichnen würde, ist ein ständiger Drang nach Anerkennung, die eine Leere in seinem Inneren füllen sollte.
Dieses Gefühl der Anerkennung ist nicht nachhaltig. Es muss immer wieder durch äußere Erfolge erneuert werden.
Regelmäßige Bestätigungen durch äußere Erfolge treiben das praktisch nicht vorhandene Selbstwertgefühl des Vaters künstlich in die Höhe. Dadurch wird sein „falsches Selbst“ – dieses künstlich aufgeblasene Ego – genährt und am Leben erhalten.
Zu diesem Zweck spannt er sogar seine eigenen Kinder ein. Er trimmt sie geradezu darauf, Leistungen zu erbringen, ihn stolz zu machen und ihn ja nicht zu beschämen.
Da Walter weniger Selbstwertgefühl als Nando hat, macht er beim Spiel des Vaters mit. So kreiert auch er sich allmählich ein „falsches Selbst“. Dieses wird durch Anerkennung für erbrachte Leistungen künstlich aufgeblasen, wie ein Luftballon.
Nur: ein Luftballon mag äußerlich schön aussehen, ist im Innern aber „leer“. Er liefert keinen echten Mehrwert.
Mit viel Luft aufgeblasen, erscheint Walters „falsches Selbst“ nach außen hin zwar imposant. Doch das war es dann auch schon. Für jeden, der hinter Andis Fassade blickt, ist klar: Dieser Mensch ist mehr Schein als Sein. Denn, wenn man näher mit ihm zu tun hat, wird Walters Inneres erkennbar und dieses besteht nur aus heißer Luft und leeren Worten.
Walters „Selbst“ ist wie eine aufwendig gestaltete Verpackung, die das Produkt des Jahrtausends verspricht, aber eigentlich leer ist.
Nandos fruchtender Baum
Nando hingegen, der einfach sein Ding macht, gibt seinen eigenen Bedürfnissen den nötigen Raum, um seine Persönlichkeit auf eine natürliche Weise zu entfalten.
Sein natürliches „echtes Selbst“ mag nach außen zwar nicht so eindrücklich wirken, wie das künstliche „falsche Selbst“ von Walter. Aber es füllt sich allmählich mit einer echten Identität, sodass es auf natürliche Weise wächst und aufblüht wie ein Baum.
Nandos Selbstentfaltung ist nachhaltig und „echt“. Deshalb wird der Baum irgendwann wertvolle Früchte tragen.
Im Gegensatz zu Walters Luftballon beinhalten Nandos Früchte eine liebevolle, aufrichtige Persönlichkeit. Sie strotzt nur so vor echter, gesunder Selbstliebe, von der er mehr als genug hat und die er getrost an andere weiterreichen kann, ohne im Gegenzug Anerkennung dafür zu verlangen.
Nando braucht niemanden, der ihn „anerkennt“, um sich selbst wertvoll zu fühlen. Er erkennt sich selber an und sein Selbstwertgefühl zieht andere Menschen an, die ihm für diese Selbstliebe Anerkenung geben.
Nandos Persönlichkeit mutet nicht nur auf trügerische Weise schön an, ohne einen wahren Mehrwert zu liefern. Sie gibt der Welt etwas zurück, statt ihr nur die Luft abzusaugen.
Nando wird von seinen Mitmenschen für die Person gemocht, die er ist. Sie fühlen sich wohl bei ihm und genießen seine Anwesenheit. Dafür muss er nichts weiter tun, außer weiterhin er selbst zu sein.
Da Walter diese Persönlichkeitsentfaltung verwehrt bleibt, fehlt ihm hingegen die eigene Identität. Er muss deshalb seine Mitmenschen ständig von neuem beeindrucken, um sie an sich zu binden.
Er selbst hat keine eigene Identität – quasi keinen „Inhalt“ – der ihn ausmacht und einzigartig macht. Er hat nichts zu bieten und muss sich ständig durch eine aufwendige Aufmachung verkaufen. Doch das läuft jedes Mal auf Etikettenschwindel hinaus.
Die Folgen sind verheerend…
Walters Wettkampf
Nandos klare, eigene Identität stellt eine Gefahr für Walter dar. Denn durch sie sticht Nando in den Augen ihres Vaters heraus. So könnte er Andi die väterliche Anerkennung wegnehmen, die seinen lebensnotwendigen Liebesersatz darstellt.
Also entscheidet Walter kurzerhand, Nando alles nachzumachen und es entweder „besser“ zu machen oder als seine Idee zu verkaufen. Nando lässt sich einen Schnauzer wachsen, Walter macht es ihm nach. Nando schneidet ihn ab, Walter zieht mit.
Nando findet aufgrund seiner authentischen Identität eine Frau, die zu ihm passt und seine große Liebe ist. Walter muss deshalb ebenfalls eine Frau haben – eine, die in seinen Augen erfolgreicher und „besser“ ist, um Nando auszustechen.
Doch Walters Nachahmung ist nur bedingt erfolgreich.
Da er seinen eigenen inneren Wert nicht sieht und keine eigene Identität hat, muss er seiner Auserwählten mit seinen Leistungen imponieren, um bei ihr Eindruck zu schinden.
Liebe um der Liebe willen gibt es in seiner Welt nicht. Denn das Gefühl „Liebe“ kennt er nicht.
Nando ging diese ständige Nachahmung zwar immer schon auf die Nerven, aber soll Walter eben machen, was er will. „Nicht mein Problem. Er ist eben ein trauriger Mensch ohne eigene Identität.“, denkt Nando sich.
Aber leider bleibt es nicht bloß bei dieser ständigen Nachahmung, denn Walter braucht „mehr“. Er muss immer noch erfolgreicher werden, sich noch mehr von Nando abheben, ihn nicht nur übertrumpfen, sondern regelrecht niederstrecken.
Als ihr Vater in Rente geht, steht die Frage im Raum, wer das Geschäft des Vaters übernehmen sollte. Walter führt bereits eine Filiale des Vaters und hat zunächst kein Interesse daran, eine weitere zu übernehmen. Also macht der Vater Nando ein Angebot. Doch dieser kann sich die Übernahme nicht leisten und stellt finanzielle Bedingungen.
Zunächst zeigt sich der Vater am Telefon offen dafür. Doch nach einiger „Bedenkzeit“ ruft er ihn zurück und stellt sich plötzlich völlig quer.
Wie sich herausstellt, hat der Vater in der Zwischenzeit Rücksprache mit Walter gehalten, der ihm den Deal ausgeredet hat. – Schließlich würde das bedeuten, dass Nando in die Fußstapfen des Vaters treten und dessen Aufmerksamkeit einheimsen würde. Dass muss Walter um jeden Preis verhindern.
Plötzlich zeigt Walter selbst Interesse am Geschäft des Vaters und kauft es ihm schließlich zu einem viel günstigeren Preis ab.
Nando wird ausgestochen, übertrumpft und übers Ohr gehauen.
Sein Bruder hat ihn aus Neid und Anerkennungssucht in einen Wettkampf hineingezwungen.
Schwer enttäuscht und mit einem gebrochenen Herzen nimmt Nando immerhin einen Gegenstand aus dem Geschäft unbemerkt mit nach Hause. Dieser weckt in ihm Kindheitserinnerungen und hat einen großen emotionalen Wert für ihn. Würde sein Bruder von der Bedeutung des Gegenstands für ihn Wind bekommen, würde er diesen Gegenstand „wollen“ und ihn für sich beanspruchen. Dabei würde er diesen gar nicht schätzen und hätte ihn wahrscheinlich sogar weggeschmissen, wenn sein Bruder ihn nicht hätte haben wollen.
Noch heute sieht Walter überall die Möglichkeit, sich selbst darzustellen und erfolgreich zu sein. Mittlerweile ist er ein erfolgreicher Unternehmer und ein hoher Politiker.
Doch im Grunde lechzt er noch immer verzweifelt nach der Anerkennung des inzwischen verstorbenen Vaters. Solange er die unterbewusste Vorstellung nicht loslässt, er könnte sich die Liebe seines Vaters durch Leistungen verdienen, wird er ständig dem Erfolg hinterherjagen, ohne jemals echte Liebe und echtes Glück zu erfahren.
Nando hingegen hat seine Ruhe und mittlerweile Abstand von seinem Bruder genommen. Er trifft sich sich zwar noch regelmäßig mit ihm, aber mit einer gesunden emotionalen und physischen Distanz. Auf Abstand ist sein Bruder ganz in Ordnung und einigermaßen aushaltbar. Doch in einer zu engen Beziehung ist er gefährlich und könnte Nandos Leben zur Hölle machen.
2. Der Schmerzwettkampf
Der sogenannte „Pain Contest“ aus dem Englischen, der auf Deutsch so viel wie „Schmerzwettkampf“ oder „Leidenswettkampf“ bedeutet, ist die zweite Art des toxischen Wettkampfs.
Er wird besonders von Menschen mit verletzlichem Narzissmus oder auch mit Borderline angewendet.
Anders als grandiose Narzissten ziehen sie die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen nicht durch ihre Leistungen, sondern durch ihre Rolle als Opfer auf sich.
Sie wollen nicht etwa besser, schneller und schlauer sein als ihre unfreiwilligen „Mitstreiter“, sondern ärmer und hilfsbedürftiger.
Während grandiose Narzissten hart ausgedrückt „aufgeblasene, selbstgefällige Angeber“ sind, die viel heiße Luft produzieren, sind verletzliche Narzissen „verbitterte, unzufriedene Schwarzmaler“, die sich ständig beklagen. Bei ihnen ist es nicht etwa das Charisma, sondern das Elend, das ihre Mitmenschen anzieht, deren Mitleid erregt und Aufmerksamkeit auf sie zieht.
Was genau ist aber unter einem „Schmerzwettkampf“ zu verstehen?
Immer wenn du deine Sorgen, Probleme und sonstigen Leiden erwähnst – weil du Unterstützung erhalten oder einfach Ballast abladen möchtest – passiert etwas Verstörendes.
Dein narzisstisches Gegenüber antwortet zum Beispiel:
„Ja, ich habe das auch und ausserdem habe ich …“
„Ach, das ist doch gar nichts. Ich habe…“
„Ich wünschte, ich hätte deine Probleme. Lass mich dir mal erzählen, womit ich mich herumschlagen muss…“
„Sag mal, muss es eigentlich immer um dich gehen? Andere haben auch Probleme. Ich sage dir jetzt einmal, wie es mir geht…“
Das sind nur einige der möglichen Antworten, die du von Betroffenen erhalten kannst.
Ihr unterbewusstes Ziel ist es, sich selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und umsorgt zu werden. Um das zu erreichen, müssen unbedingt sie das Opfer sein. Deswegen sehen sie jeden deiner Versuche, deine eigenen Leiden zu kommunizieren, als Bedrohung an.
Schließlich könntest du ihnen die Aufmerksamkeit stehlen…
Sie müssen sich ihre Opferrolle also schleunigst wieder zurückergattern, die ihnen gerade zu entgleiten droht.
In der Folge versuchen sie, deine Leiden zu übertrumpfen, indem sie von ihren „noch größeren Leiden“ berichten.
Der negative Nebeneffekt besteht darin, dass du „gegaslightet“ wirst. Denn deine Wahrnehmung, dass du Probleme hast bzw. dass das, was du hast, Probleme sind, wird von deinem Gegenüber als Hirngespinnst abgetan:
„Probleme!? Ich zeig dir ’mal, was wirkliche Probleme sind!“
Und als ob das noch nicht reicht, wirst du dann auch noch zum „Selbstgaslighting“ angeregt und denkst dir:
„Hmm… vielleicht sind meine Probleme ja wirklich gar keine und ich übertreibe gerade maßlos“.
Die Konsequenz ist, dass du mit deinen Problemen alleine bleibst, sie mit der Zeit nicht mehr ernst nimmst oder ansprichst und schließlich damit beginnst, sie zu verdrängen.
Nun hast du zusätzlich zu deinen ursprünglichen Leiden noch ein schlechtes Gewissen und verdrängte Probleme.
Doch auch das ist noch nicht alles. Denn zu allem Überfluss werden dir jetzt auch noch die „Probleme“ deines Gegenübers aufgeladen – und zwar in einem Moment, in dem du eigentlich selbst gerade Unterstützung benötigst.
Und so geht es wieder einmal nur um sie/ihn…
Wie du siehst, ist der „Schmerzwettkampf“ eine unterschwellige Art, dir das letzte Bisschen Aufmerksamkeit zu stehlen und deine Angelegenheiten als „nicht der Rede wert“ abzutun. Jedes Mal, wenn du dein Problem ansprichst und für einen Moment um etwas Aufmerksamkeit bittest, werden deine Probleme „übertrumpft“ und überschattet.
Und als ob das nicht genug wäre, wirst du – das eigentliche Opfer – als Täter hingestellt. Du bekommst ein schlechtes Gewissen, weil dir eingeredet wird, wie egoistisch du gerade seist, weil du von dir selbst sprichst.
Nun erzähle ich dir die zweite Geschichte als Beispiel für den Schmerzwettkampf…
Der schwesterliche „Schmerzwettkampf“
Diese Geschichte handelt von Anna und ihrer Schwester Franziska. Anna hatte eine schwierige Kindheit. Bis zu ihrer Jugendzeit war ihr Vater selten zu Hause, da er meist entweder arbeitete oder sich mit Freunden traf.
Finanzielle Probleme hatten sie nie. im Gegenteil war immer alles im Überfluss verfügbar. Wollten Anna und ihre Schwester Franziska etwas haben, wurde es besorgt. Doch das kompensierte die permanente Abwesenheit des Vaters nicht und die stark co-abhängige Mutter stand mit ihren Kindern alleine da.
Die generationenübergreifende Misshandlung
Annas Mutter war unter der Fuchtel der jähzornigen Großmutter aufgewachsen, die in der Kindererziehung viel mit Angst arbeitete.
Zudem misshandelte sie sie des Öfteren körperlich und prügelte sie einst mit einem Holzstock heim, weil sie zu spät dran war. Dabei schlug sie so fest auf sie ein, dass der Holzstock zerbrach. Die Mitschüler*innen, die das Ganze mitansehen mussten, flehten sie an, damit aufzuhören. Doch sie war von ihrem Zorn völlig vereinnahmt und machte weiter.
Annas Großater auf der anderen Seite wies stark narzisstische Züge auf und züchtigte Annas Mutter regelmäßig – z.B. mit dem Gürtel.
Bereits mit 5 Jahren wurde Annas Mutter von den Eltern klargemacht, dass sie verantwortlich für das Wohlergehen ihrer kleinen Schwester sei. Das nutzte ihre Schwester schamlos aus. Annas Mutter wurde regelmäßig bestraft und gezüchtigt, weil ihre Schwester sie provozierte und dann den Eltern erzählte, dass Annas Mutter damit angefangen hätte.
Dadurch hatte Annas Mutter als Überlebensstrategie eine co-abhängige Störung ausgebildet, die sich nun auf ihre beiden Kinder Anna und Franziska auswirkte. Grenzen wurden den beiden kaum gesetzt und die Verantwortung und die Schuld suchte die Mutter immerzu bei sich.
Franziskas Verhalten glich dem der jähzornigen Großmutter sehr stark. Sie war schwer erziehbar, rebellisch und jede Form von Autorität verschmähte sie.
Die Mutter war völlig überfordert mit ihr und so kam es, dass Anna die Rolle ihres Vaters auszufüllen begann. Sie opferte ihre kindliche Verspieltheit und wurde zur vernünftigen, erwachsenen Person, die der Familie fehlte.
Doch dadurch verwehrte Anna sich selbst die Kindheit und konnte sich nie den nötigen Raum geben, um ihre eigene Persönlichkeit zur Entfaltung zu bringen.
Während Annas Mutter die Verantwortung für ihre Schwester von ihren Eltern aufgedrängt wurde, übernahm Anna diese Rolle nun „von sich aus“, um die Familie zusammenzuhalten. Allmählich übernahm sie die co-abhängige Problematik ihrer Mutter, die ihre Schwester Franziska schamlos auszunutzen begann.
Anna wurde von Franziska körperlich misshandelt. Doch weitaus schlimmer war die emotionale Misshandlung, die sie durch ihre Schwester erfuhr.
Franziska zeigte bereits in der frühen Kindheit Warnsignale für eine spätere Persönlichkeitsstörung. Tatsächlich wird sie später im Erwachsenenalter alle Kriterien für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung erfüllen. Auch ihre außergewöhnlich starken narzisstischen Züge kamen bereits in ihrer frühen Kindheit zum Vorschein.
Franziska bestimmte stets, wie die Dinge zu laufen hatten und überließ Anna ihre Überreste, für die sie gefälligst dankbar zu sein hatte.
Anna wurde von ihrer Schwester regelmäßig erpresst. Wenn sie nicht tat, was von ihr verlangt wurde oder gar den Eltern von der Situation berichten würde, drohte Franziska ihr damit, ihr Lieblingsspielzeug kaputtzumachen.
Sie wurde auch physisch misshandelt, denn Franziska bohrte ihr zum Beispiel regelmäßig ihre Fingernägel in die Arme, bis sie zu bluten begannen.
Zwar ging Anna damit dennoch irgendwann zu ihren Eltern. Doch diese sagten Franziska lediglich, dass sich das nicht gehöre und sie das in Zukunft unterlassen sollte.
Beide Eltern neigten dazu, solche Verhaltensweisen zu verdrängen, zu verharmlosen und dem Problem aus dem Weg zu gehen.
Damit war Annas Schicksal besiegelt, denn so kristallisierte sich für sie und ihre Schwester klar heraus, dass Franziskas Verhalten keine ernsthaften Konsequenzen haben würde.
Grenzen wurden in diesem Haushalt zwar kommuniziert, jedoch nicht umgesetzt.
Anna fehlte damit der Schutz der Eltern, wodurch sie bereits im Kindesalter Franziskas emotionalen und körperlichen Misshandlungen schutzlos ausgeliefert war. Die Personen, die sie eigentlich beschützen und ihr ein Gefühl von Sicherheit vermitteln hätten sollen, sahen weg und überließen sie ihrer tyrannischen Schwester.
Schuld als Erpressungswerkzeug
Doch der emotionale Terror ging noch weit darüber hinaus, denn Franziska impfte Anna ständig Schuldgefühle ein und pflanzte mit vorwurfsvollen Sätzen toxische Glaubenssätze in ihr Unterbewusstsein ein.
Franziska war nie schuld und machte nie etwas falsch.
Die Hilfe anderer war selbstverständlich für sie, während sie ihre eigene Hilfe stets als edle Wohltat verkaufte, für die andere gefälligst unendlich dankbar sein sollten. Sie entschuldigte sich deshalb genauso wenig, wie sie sich jemals für etwas bedankte. Sie forderte und bekam alles und gab nur sehr wenig…
… das schaffte sie, indem sie an die Schuldgefühle von Anna und ihrer Mutter appellierte, die bei den beiden (nicht zuletzt wegen Franziskas perfiden Manipulationsmethoden) besonders ausgeprägt waren.
Wenn sie einmal nein sagten und etwas nicht nach Franziskas Gusto verlief, folgten von ihr Sätze wie:
„Du bist so egoistisch. Da bittet man dich einmal um einen Gefallen und du schaust wieder einmal nur auf dich. Das ist eine sehr schlechte Eigenschaft von dir. Dabei habe ich schon so viel für dich gemacht.“
Als Beleg für ihre angeblichen „Wohltaten“ in der Vergangenheit folgte in der Regel eine Situation, die weder vergleichbar noch besonders großzügig war – ja manchmal war sie nicht einmal selbst daran beteiligt gewesen, auch wenn sie es so verkaufte. Außerdem lag die Situation häufig schon Jahre zurück.
Doch ihre Masche zog bestens und so perfektionierte sie ihre Rolle als „größtes Opfer“.
Sie spielte ständig den sterbenden Schwan, besonders wenn sie die Aufmerksamkeit und Hilfe von ihrer Mutter oder von Anna wollte.
Immer wenn Anna einmal physisch oder emotional angeschlagen war, wurde Franziska eifersüchtig und konnte nicht zulassen, dass sie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit der Mutter stand.
Das führte dazu, dass Franziska immer noch stärkere Kopfschmerzen hatte, wenn Anna von den ihrigen berichtete. Anna hatte Fieber – dann hatte Franziska Magenkrämpfe, die noch „viel schlimmer“ waren.
Die Beschwerden Franziskas gingen allerdings weit über bloße Simulation hinaus. Denn sie waren tatsächlich da. Doch sie waren vor allem bzw. fast ausschließlich dann da, wenn sie starke Ängste verspürte. Eine Somatisierungsstörung ist bei ihr also nicht auszuschließen.
So „stahl“ Franziska Anna schließlich die Mutter und raubte ihr für die meiste Zeit die emotionale Versorgung und Regulierungsunterstützung durch eine Bezugsperson, die für eine gesunde psychische Entwicklung des Mädchens nötig gewesen wäre.
Anna hatte niemanden, bei dem sie ihre Sorgen abladen konnte und so begann sie, alles in sich hineinzufressen – und zwar wortwörtlich. Denn sie bildete eine ernsthafte Essstörung aus.
Es dauerte Jahrzehnte, bis sie ihre Störung endlich wieder in den Griff bekam. In dieser Zeit bemühte sie sich mit Hilfe diverser Psychotherapeut*innen, sich emotional und physisch von ihrer Schwester und ihrer Mutter zu distanzieren.
Mittlerweile geht es ihr schon viel besser, aber ihre co-abhängige Mutter ist noch immer in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit der inzwischen bald 40-jährigen Tochter verstrickt. Sie stecken in einer sogenannten „Traumabindung“ fest.
Der „Schmerzwettkampf“ dauert nach wie vor an und Anna bekommt ihre Mutter kaum ohne ihre Schwester zu Gesicht. Wenn Anna Kontakt zu ihrer Schwester hat, kommt es außerdem häufig erneut zu Abwertung, Gaslighting und ähnlichem.
Sie hütet sich auch davor, ihrer Mutter ihre Sorgen und Probleme anzuvertrauen, wenn ihre Schwester anwesend ist, da diese einen Streit provozieren und die Situation dann wieder einmal ausarten und eskalieren könnte.
Annas Schwester ist wie Nandos Bruder aus der ersten Geschichte auf Abstand einigermaßen aushaltbar. Doch selbst bei kurzem, oberflächlichem Kontakt ist sie unberechenbar und gefährlich. Anna könnte jederzeit erneut von ihrer tyrannischen Schwester „zur Schnecke gemacht“ werden.
Übrigens…
… die Auswirkungen verletzlicher/verdeckten Narzissmus oder auch Borderline (vgl. Franziska) auf Angehörige werden von manchen Experten als „schlimmer“ angesehen als grandioser Narzissmus (vgl. Andi).
Der Grund hierfür ist, dass Angehörige noch stärker in die Welt des Gegenübers hineingesogen und einer Gehirnwäsche unterzogen werden.
Die Person dringt tief in ihren Kopf ein. Wie ein Parasit nistet sie sich dort ein, wo gerade co-abhängige Angehörige besonders manipulierbar sind – im Gewissen. Dort pflanzen sie selbstschädigende Glaubenssätze und nähren sie regelmäßig, damit sie wachsen.
Angehörige werden dadurch nicht „bloß“ misshandelt, sondern durch Scheinargumente mit Schuldgefühlen vollgepumpt, damit sie über diese jederzeit kontrollierbar, manipulierbar und verletzbar bleiben.
Was bringen toxische Wettkämpfe?
Toxische Wettkämpfe haben 1 Hauptgrund…
… Aufmerksamkeit
Letzten Endes geht es in fast jedem toxischen Wettkampf um Aufmerksamkeit.
Denn wie du siehst, sind die Strategien grandioser und verletzlicher Narzissten (sowie von Borderlinern) zwar unterschiedlich, aber das Ziel ist dasselbe: Aufmerksamkeit erhalten, um eine innere Leere zu füllen, den eigenen Selbstwert zu steigern und/oder die eigene Unsicherheit zu stabilisieren.
Betroffenen fehlen in der Regel die Bewusstheit und die Einsicht dafür, was vor sich geht. Selbst wenn sie es kognitiv verstehen, können sie es nicht nachempfinden.
Außerdem fehlen ihnen die Empathie und das Schuldbewusstsein, um sich aufrichtig zu entschuldigen oder überhaupt zu erkennen, wie sehr sie ihren Angehörigen damit schaden.
Fühlen sie sich nach einem Streit schlecht oder weinen gar, dann meist nur aus dem Grund, weil sie sich verletzt und schlecht behandelt fühlen – nicht aus Schuldgefühlen anderen gegenüber oder aus Bedauern für ihr eigenes Verhalten.
Letzten Endes ist die Aufmerksamkeit eine Art „Liebesersatz“, der zu einem Zeitpunkt in der Kindheit überlebenswichtig war. Diese frühkindliche Phase wurde von Betroffenen emotional nie auf gesunde Weise überwunden. Emotional stecken sie im Kleinkindalter fest.
Deshalb kämpfen sie gefühlsmäßig tatsächlich um ihr Leben, wenn sie sich mit dir anlegen und dich zu einem Wettkampf herausfordern wollen. Denn keine Liebe zu erhalten bedeutet für ein kleines Kind, den emotionalen und damit auch und den physischen Tod zu erleiden.
Anerkennung als Liebesersatz ist weder nachhaltig noch ist er in der Lage, das Gefühl von wahrer Liebe zu ersetzen. So müssen Betroffene sich ständig erneut messen und um diese Scheinliebe kämpfen.
Dabei gehen sie häufig wortwörtlich über Leichen. Denn wenn ihre Opfer psychische, psychosomatische und physische Krankheiten aufgrund der emotionalen Belastung ausbilden, die sie durch Betroffene erfahren, gehen diese indirekt zu einem großen Teil auf deren Konto.
Ich selbst musste leider auch schon beobachten, wie mir nahestehende Personen nur haarscharf dem Tod entgangen sind.
Ich kenne das Gefühl, die Person in einem dermaßen elenden Zustand erleben und unterstützen zu müssen, ohne selber etwas tun zu können.
Dieses Ohnmachtsgefühl kann vor allem auch für Angehörige einer angehörigen Person ein furchtbares und traumatisches Erlebnis sein.
Symptome
Allgemein können durch toxische Wettkämpfe folgende Symptome auftreten:
Emotionaler Stress (der auch chronisch und physisch werden kann, wenn er länger anhält)
Erschöpfung
Abneigung (bis Wut oder sogar Hass) gegen die betroffene Person
Minderwertigkeitsgefühle
Einsamkeit
Enttäuschung
Depression
Psychosomatische Beschwerden aufgrund verdrängter Probleme, Loslösung von der Familie
Co-Abhängige Störung
Schreib deine eigenen Symptome gerne in die Kommentare, wenn du Ergänzungen hast. Berichte auch gerne von deinen Umgangsstrategien damit.
Fazit
Du solltest auf keinen Fall versuchen, die Situation zu verharmlosen oder gar zu beschönigen.
Die Person mag verdrängen und sich dessen nicht bewusst sein, was sie dir antut.
Doch die Tatsache, dass ein Mensch fähig ist, etwas derart moralisch Verwerfliches zu tun, zeigt nicht nur, wie toxisch, sondern auch, wie gefährlich er unter Umständen sein kann.
Egal, aus welchen Gründen er/sie toxische Wettkämpfe startet: niemand hat das Recht, dich schlecht zu behandeln.
Dieses Verhalten langfristig aus deinem Leben zu verbannen, gehört zu einer gesunden Psychohygiene dazu.
Wenn der Mensch nicht bereit ist, sich zu ändern, dann helfen nur Kontaktabbruch/Kontaktreduktion und emotionale Abgrenzung.
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